Würde man in einem einschlägigem Forum eine Umfrage nach dem perfekten Reiserad starten, wäre es sicherlich eines mit Stahlrahmen, 26-Zoll-Räder, Gepäckträger und Lowrider, Rohloff-Antrieb und SON-Nabendynamo. Der typische Reiserad-Panzer in vielen Variationen, was die einzelnen Komponenten angeht, ist sicherlich die stabilste Radversion und daher wohl auch die beliebteste. Da es aber nicht DIE Radreise gibt, gibt es auch nicht DAS Reiserad. Und auch wenn Hersteller durchaus einige ihrer Modelle als solche bezeichnen, heißt das noch lange nicht, dass andere Radtypen nicht reisetauglich seien. Daher möchte ich in einer Artikelserie verschiedene Radtypen vorstellen, die sich für eine mehrtägige Tour eignen. Hier soll es um das Alltagsrad gehen, das durchaus tourentauglich sein kann und sich bestens zur Selbstfindung eigener Reiserad-Vorlieben eignet.
Du bist gerade erst auf den Geschmack gekommen, eine Radreise zu unternehmen. Höchstwahrscheinlich hat dich irgendein Medienbericht oder Radreise-Blog dazu inspiriert, auch einmal eine mehrtägige Tour fahren zu wollen. Dein staubiges Trekking-Rad verwendest du aber nur für den gelegentlichen Einkauf oder Stadtbesuch. Außerdem sind die ganzen erfahrenen Radvagabunden nur mit teuren Maschinen unterwegs, sodass du der Meinung bist, erst einmal mind. 1.000 Euro für ein neues Rad hinlegen zu müssen.
Aber genau das ist falsch!
Soweit die gute Nachricht. Denn grundsätzlich ist eine mehrtägige Tour mit Gepäck mit fast jedem Rad möglich. Steht also in deinem Keller nicht gerade ein eingerosteter Drahtesel, sondern eine mittelmäßige aber solide Basis, so freunde dich ruhig mit dem Gedanken an, die ersten mehrtägigen Fahrversuche mit dem schon vorhanden Fahrrad zu bewältigen.
Egal ob Mountainbike, Damenrad, Oldtimer-Rennrad oder Stadtflitzer, oftmals lohnt es sich, das schon Vorhandene herzunehmen und gegebenenfalls etwas aufzurüsten, bevor sich eine gute aber teure Neuanschaffung lohnt. Gute Komponenten sind nicht unbedingt teuer – geschweige denn Verschleißteile. Sind diese gut in Schuss, ist das schon mal die halbe Miete. Zudem sind Pannen kein großes Problem, da du ohnehin zunächst im dicht besiedelten Europa tourst, bevor du über Expeditionen in die Dritte Welt nachdenkst.
Also pfeif drauf, dass ein Gepäckträger auf dem billigen aber schicken Mountainbike oder Rennrad vielleicht uncool aussieht. Fehlen dort die Schraubengewinde im Rahmen, nimmst du eben Schellen aus dem Baumarkt oder einen Sattelstützen-Gepäckträger. Zwei Ortlieb-Packtaschen dran, ein Packsack oben drauf und Lenkertasche an der Front – schon kann es losgehen.
Komponenten: Günstig aber haltbar
Was Trekkingbikes und Mountainbikes angeht, so sind solche mit einem soliden Antrieb nicht unbedingt teuer. Er sollte mindestens Komponenten der Shimano Alivio Gruppe haben. Besser ist Deore, am besten ist XT. Eine Alivio- oder Deore-Kurbel langt zunächst vollkommen aus und ein Deore-Schaltwerk ist mit ca. 30 Euro durchaus erschwinglich. Kettenblätter und Kassette sollten nicht verschlissene Zähne aufweisen. Wem hierfür der Blick fehlt, der sollte zum Fachmann. Oftmals lohnt sich hier ein Tausch des gesamten Antriebs, wenn Ritzel und Kettenblätter verschleißbedingt gewechselt werden müssen.
Reifenpannen werden durch den richtigen Luftdruck vorgebeugt. Zeigt der alte Mantel schon Risse auf, sollte er unbedingt vor der Tour gewechselt werden. Auf jedem Mantel steht der entsprechend benötigte Luftdruck. So brauchen dünnere Reifen einen höheren als breitere. Zumindest das stark belastete Hinterrad sollte auf beladener Tour mit Maximaldruck gefahren werden. Auf Nummer Sicher gehst du mit Mäntel, die über einen Pannenschutz verfügen. So sind Schwalbe Marathon zwar nicht gerade die leichtesten, jedoch so gut wie unplattbar und verzeihen auch mal einen etwas niedrigen Luftdruck. Eine gute und ebenso günstige Alternative zum Schwalbe Marathon ist der Continental Tour Plus.
Andere Komponenten, wie etwa Lenker, Griffe, Sattel oder Laufrad sind ebenso nicht unwichtig, für die ersten Radreise-Versuche jedoch nicht ganz so entscheidend wie etwa der Antrieb.
Strecken: Radwege und Waldwege
Sind die Verschleißteile des Alltagsrad in Schuss und der Gepäckträger montiert, fragst du dich, wo du nun letztendlich entlang fahren sollst. Auf der Landstraße von Rasern haarscharf überholt zu werden ist nicht wirklich entspannend. Idealerweise bleibst du daher auf Radwegen, die in Deutschland glücklicherweise großzügig, gut und meist asphaltiert ausgebaut sind. Wald- und Feldwege sollten jedoch auch kein Problem sein. Eine gute Übersicht darüber bieten die OpenCycleMaps, die recht vollständig und aktuell sind, was Deutschland angeht. Zur Routenplanung eignen sich Dienste wie etwa Naviki.org oder GPSIES, welche die OCM auch nutzen. Vermeide für die ersten Touren auch größere Steigungen, denn hier merkst du das schwere Gepäck erst so richtig.
Den eigenen Geschmack finden: Welcher Radreise-Typ bist du?
Bist du lieber schnell unterwegs? Oder geht es dir nicht um’s Kilometerschaufeln? Stock und Stein – oder Straße? Hoch in die Berge oder durch die Täler flitzen? Nach einigen Touren kristallisieren sich die eigenen Vorlieben heraus. Daher ist es wichtig, erst diese zu kennen, bevor du die nächstgrößere Anschaffung – ein dediziertes Reiserad – überlegst. Bis es soweit ist, kannst du dein Alltagsrad mit entsprechenden Komponenten umrüsten. Reifen mit Stollen für Stock und Stein – oder glatte, profillose Asphaltreifen für Straßenflitzer. Packtaschen für viel Gepäck – oder Rahmentaschen und Rucksack (Stichwort Bikepacking) für ein ultraleichtes Konzept.
Übersicht: Alltagsrad als Reiserad
Preis | Gewicht | Weg | km/Tag | Gepäck | Stabilität | Wartung |
niedrig | hoch | Radwege | 100 | viel | mittel | mittel |
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